1889–90 entstand unweit der Reeperbahn die „Herberge zur Heimat“, seit 1922 Sitz der Heilsarmee in Hamburg. Der Entwurf stammte von den Architekten Gustav Zinnow und Hugo Stammann, die als Mitglieder des Rathausbaumeistervereins zu den renommiertesten Architekturbüros der Stadt zählten. Bauherr war der „Verein der Herbergen zur Heimath“, dessen Vorsitz Adolf Godeffroy, Mitbegründer der Reederei HAPAG, innehatte.
Herberge zur Heimat
„Herbergen zur Heimat“ waren unter christlicher Hausordnung stehende einfache Hotels für Wandergesellen und Handwerker, in denen versucht wurde, diese auf Reisen vor den Gefahren von Alkoholkonsum und Glücksspiel zu schützen. Auf Anregung Johann Hinrich Wicherns, dem Begründer des Rauhen Hauses und der Hamburger Stadtmission, entstanden seit 1854 im Deutschen Reich solche spendenfinanzierte Häuser.
Hospiz, Volkscaffeehalle und Jünglings-Verein
Neben dem „hotelartige(n) Hospiz“ und einer „Volkscaffeehalle“ zog in die Nr. 11 – ebenfalls ganz im Sinne Wicherns – das Vereinslokal des Jünglings-Vereins „Bruderliebe“, dessen Angebot aus regelmäßigen Versammlungen, einer Bibliothek und Musikinstrumenten sich sowohl an Hotelgäste als auch an heimische Handwerksgesellen richtete.
Herberge im Wandel
Schlief man anfänglich unter der Aufsicht des Hausvaters, eines Bruders des Rauhen Hauses, im großen Schlafsaal im Erdgeschoss, wurden ab 1902 zwischen 21.30 Uhr und 8.00 Uhr zusätzlich auch Schlafplätze auf den Korridoren der 1., 3., und 4. Etage angeboten. Der Alltag auf St. Pauli war rau, die Akten berichten von Vandalismus, Not und drohender Obdachlosigkeit. Der Bedarf an Arbeitskräften durch Industrialisierung und Hafenausbau hatte die Einwohnerzahl Hamburgs zwischen 1870 und 1890 annähernd verdoppelt. Wohnraum war knapp, die Wohnungsnot groß und Wanderarbeiter lebten in zunehmend prekären Verhältnissen. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Ringelnatz über seine Zeit als Schiffsjunge auf Stellungssuche 1901 in Hamburg: „Um Geld zu sparen, wohnte ich anfangs für 40 Pfennig pro Tag in der Herberge zur Heimat. Es ging dort recht unordentlich zu, so dass ich meine Briefe lieber postlagernd bestellte.“ (Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 6: Mein Leben bis zum Kriege, Zürich 1994, S. 147). Von 1904–20 wurde das Haus unter wechselnden Eigentümern zunächst noch als christliches Hospiz und Restaurant, später als sogenanntes Logierhaus mit Konzession zum Ausschank von Spirituosen betrieben. 1920 wurde das Haus an Robert Emil Meyer verkauft. Meyer war Prediger der pietistischen Erweckungsbewegung und leitete seit 1900 die von ihm gegründete „Strandmission“ in Hamburg. Für 2 Jahre betrieb er an der Talstraße 11–15 das „Missionshaus St. Pauli“.
Heilsarmee
Die Heilsarmee erwarb das Haus 1922. Diese 1865 von William Booth in England gegründete Freikirche war seit 1890 in Hamburg aktiv. Sie war nach militärischem Vorbild uniformiert. Ihre hauptamtlichen Mitarbeiter werden als „Offiziere“ bezeichnet, die oft ehrenamtlichen Mitglieder als „Soldaten“ und die Missionsstationen als „Korps“. Während infolge des ersten Weltkrieges viele Hilfsorganisationen in Hamburg mit finanziellen Problemen kämpften, konnte die Heilsarmee dank internationaler Unterstützung nicht nur eine Armenspeisung einrichten, sondern 1922 auch zwei Häuser erwerben: Eines in Altona und eines auf St. Pauli, wo das Divisionshauptquartier mit einem Korps und einem Hospiz eingerichtet wurde.
100 Jahre Heilsarmee in der Talstraße
Nach Einschränkung der Tätigkeit im Dritten Reich und der erzwungenen Einstellung der Arbeit im Hospiz ist das Haus seit Ende des 2. Weltkriegs wieder Sitz des Hamburger Korps. Heute befinden sich auf sechs Ebenen Räumlichkeiten, um Menschen in den verschiedensten Notlagen zu unterstützen. Dazu zählen ein soziales Center mit täglicher Essensausgabe und einem offenen Seelsorge- und Beratungsangebot, eine Kleiderkammer, Duschen, ein Friseurbereich und eine Lebensmittelausgabestelle sowie 15 Wohnungen mit geförderten Mieten.
Innen- und Fassadensanierung
Seit 2013 wurde das Haus umfassend umgebaut und saniert. Unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung dieses Baudenkmals galt ein besonderes Augenmerk dabei der Fassade, mit dem Ziel, das überlieferte Erscheinungsbild zu bewahren. Mit dem hellen Backstein, der durch Wasserschlag- und Traufgesimse und rote Zierbandschichten bereichert wird, griffen die Architekten auf die Formensprache der Stifts- und Sozialbauten der Zeit zurück. Das Haus an der Talstraße ist heute nicht nur ein Beispiel dieses 130 Jahre währenden mildtätigen Engagements privater und christlicher Initiativen, sondern auch letztes Zeugnis der Geschichte der „Herbergen zur Heimat“ in Hamburg.